KURZE VERSION FÜR INSIDER:

Frage: Wieviele Wissenschaftler, die an das Wassergedächtnis glauben, tragen beim heutigen „Fortbildungsabend“ Water-Information-Meeting-Vienna für Apotheker und Homöopathen vor?

Antwort: Alle beide.

LANGE VERSION FÜR OUTSIDER:

Es ist ja im Prinzip ganz einfach: Nehmen Sie einen Eiswürfel und ritzen Sie Ihren Namen in die Oberfläche. Dann legen Sie ihn zurück ins Eisfach. Am nächsten Tag ist Ihr Name immer noch lesbar. Das beweist: Wasser hat ein Gedächtnis – es kann Information speichern. Wenn es gefroren ist. Probieren Sie jetzt dasselbe mit Wasser bei Zimmertemperatur. Sie werden feststellen: Nichts zu machen, kein Name im Wasser lesbar. Keine Überraschung, denken Sie jetzt vielleicht, das ist wohl der Grund warum Festplatten fest sind und nicht flüssig. Überraschung: Es gibt Menschen, die ernsthaft glauben, Wasser habe ein Gedächtnis. Die überwiegende Mehrzahl von Ihnen sind Homöopathen.

Das Problem der Homöopathen ist dieses: Wenn Ihnen ein kritisch denkender Zeitgenosse über den Weg läuft, der von den Tante-Agathe-hat’s-geholfen Anekdoten nicht allzu beeindruckt ist, der in der Schule in Physik und Chemie ein wenig aufgepasst hat und der weiß, was die Grundprinzipien der Homöopathie sind, dann geraten sie in einen massiven Erklärungsnotstand. Dieser Notstand beruht auf der Tatsache, dass eine spezifische Wirkung der homöopathischen Tropfen und Globuli mit den letzten paar hundert Jahren Physik und Chemie unvereinbar ist. Man bedenke: In einer typischen C30 Potenz ist kein Wirkstoff drin. Die Homöopathen haben ihn durch eifriges Verdünnen und Schütteln (sie nennen es „Potenzieren“, weil das irgendwie nach Kraft und Wissenschaft klingt) komplett herausverdünnt. Und komplett heißt hier wirklich komplett. Ab etwa C12 ist kein Molekül der Ausgangssubstanz, sei es Belladonna, sei es Kakerlakengatsch, mehr drinnen. Das Wasser, in dem nichts mehr drinnen ist, wird dann auf Milchzuckerkügelchen gesprüht. Von dort verdunstet es schnell, so dass am Ende ein paar arme Globuli mit nichts drauf und nichts drin übrig bleiben, die sich hervorragend als Placebos eignen, weil sie zwar nichts nützen, aber auch nicht schaden.

Jetzt haben Homöopathen aber eine Allergie gegen das Wort „Placeboeffekt“. Der spiele bei ihren Globuli und Tropfen nämlich allenfalls eine untergeordnete Rolle, meinen sie. Von einer spezifischen Wirkung ihrer Kügelchen lassen sie sich ungern abbringen. Ihr Weltbild stützt sich darauf, und ihr Job. Deshalb sind sie unheimlich einfallsreich, wenn es gilt, die Kette von Wundern, auf denen jede solche Wirkung, wenn es sie denn gäbe, beruhen müsste, irgendwie doch noch „wissenschaftlich“ zu erklären. Ja, geben sie zu, im Wasser ist kein Wirkstoff mehr drinnen. Aber, sagen sie, das Wasser erinnert sich sozusagen an den Wirkstoff. Das Wirkstoffmolekül habe nämlich seinen „Abdruck“ im Wasser hinterlassen, und der wirke dann anstelle des Moleküls selbst. Und hier kommt also die phänomenale Idee vom „Wassergedächtnis“ ins Spiel: Der „Abdruck“ des Moleküls im Wasser muss nämlich im Wasser gespeichert bleiben, monatelang, und zwar ohne den Trick mit dem Gefrierschrank. Um die Absurdität dieser Vorstellung zu verschleiern, nennen sie das die „Imprint Theorie“, weil es so besser klingt.

Spezielle Strukturen von Wassermolekülen gibt es dank der interessanten Eigenschaften von Wasserstoffbrücken tatsächlich. Ihre Haltbarkeit ist allerdings von kurzer Dauer, gelinde gesagt. Tatsächlich lösen sie sich innerhalb von 50 Femtosekunden auf, wie 2005 eine Publikation in Nature berichtete, die mit feiner Ironie auf den „ultrafast memory loss“ von Wasser hinwies. Immerhin um einen Faktor von einigen tausend Billiarden zu klein, um die in den homöopathische Tropfen gespeicherte Information noch bis zum Patienten zu bringen.

Der Vater der water memory Idee war der französische Immunologe Jacques Benveniste. Seine Experimente mit Wasser, das sich angeblich an Antigene erinnerte, die einst in ihm gelöst waren, wurden vor 20 Jahren in einem umstrittenen Artikel in Nature verewigt. Sie sollten ihm unsterblichen Ruhm bei den Homöopathen und Spott beim Rest der Welt bringen. Die Kurzfassung der skurrilen Geschichte: Ein Untersuchungsteam von Nature besuchte Benvenistes Labor, woraufhin dort die seltsamen Phänomene verschwanden. Weitere Replikationsversuche schlugen ebenfalls fehl. Benveniste konnte nicht mehr aus der Geschichte heraus ohne sein Gesicht zu verlieren. Also blieb er drinnen. Das kostete ihn schließlich seinen Job und seine Reputation. Statt eines Nobelpreises gab es für ihn nur noch den Ig-Nobel-Spottpreis – und das gleich zweimal, was vor ihm noch niemand geschafft hatte.

Doch die Idee vom Wassergedächtnis, einmal in die Welt gesetzt, fand ihre Anhänger. Am Rande der Esoterik angesiedelt, trieb sie teils skurrile Blüten. Der Japaner Masaru Emoto etwa, Träger eines echten Studienabschlusses in Politologie und eines gekauften Doktortitels in Alternativmedizin, wird auch hierzulande immer noch als „Wasserforscher“ herumgereicht, weil er herausgefunden haben will, dass Wasser nicht nur ein Gedächtnis, sondern auch Intelligenz und Gefühle hat – und englisch lesen kann. Auch der Stuttgarter Professor Bernd Kröplin experimentierte eifrig mit Wassertropfen. Reproduzierbare Resultate konnte er keine vorweisen.

Neuen Auftrieb erhielten die Homöopathen 2003 mit der Veröffentlichung der Thermolumineszenz Experimente des Chemikers Louis Rey in der Zeitschrift Physica A. Rey behauptet, dass Lithiumchlorid in Deuterium (schwerem Wasser) Spuren hinterlässt, selbst wenn es vorher komplett herausverdünnt wurde. Die meisten Wissenschaftlerkollegen blieben unbeeindruckt, kritisierten methodische Schwächen und gingen von einem „Dreckeffekt“ aus. Vor allem aber fehlte eine erfolgreiche Replikation der Ergebnisse.

Als eine solche wurde eine Arbeit von Roeland van Wijk und Kollegen in Homöopathiekreisen gefeiert, die 2006 im Journal of Alternative and Complementary Medicine erschien. Auch Louis Rey selbst bezeichnete die Resultate von van Wijk als eine Bestätigung seiner eigenen Ergebnisse. Van Wijk ist ein treuer Anhänger der Idee vom Wassergedächtnis mit einem Hang zum Mystischen. Seinerzeit hatte er bereits erfolglos versucht, das Experiment von Benveniste zu replizieren. Das erstaunliche an seiner „erfolgreichen“ Replikation der Rey’schen Versuche ist aber, dass von erfolgreich gar keine Rede sein kann. Der Kernsatz von van Wijks Artikel lautet

We report here differences in thermoluminescence between C15 D2O and C15 LiCl, which correspond with the observations reported by Rey (2003). However, the difference from all of these recordings of these substances was not statistically significant.

In Wissenschaftskreisen nennt man so etwas einen fehlgeschlagenen Versuch, Homöopathen sind da anscheinend weniger kleinlich.

Die wichtigsten Beiträge theoretischer und experimenteller Natur zum Wassergedächtnis zusammenzutragen hat sich die Zeitschrift Homeopathy letztes Jahr zum Ziel gesetzt. Ergebnis war die „Memory of Water“ Sondernummer vom August 2007. Prominent mit dabei: Louis Rey mit einem Papier über seine Thermolumineszenz Experimente und dem Verweis auf die „erfolgreiche“ Replikation durch van Wijk. Die geballte Evidenz eines guten Dutzends von Artikeln zum Wassergedächtnis. Zusammengefasst: Ein Desaster. Paul Wilson’s Urteil über Homeopathy: „A cracking example of a pseudojournal„. Der britische Wissenschaftsjournalist Philip Ball bezeichnete die Artikelsammlung in Nature als „Kuriositätenkabinett“. Auf seinem Blog geht er ins Detail:

What emerges from these papers is an insight into the strategy adopted more or less across the board by those sympathetic to the memory of water. They begin with the truism that it is ‘unscientific’ to simply dismiss an effect a priori because it seems to violate scientific laws. They cite papers which purportedly show effects suggestive of a ‘memory’, but which often on close inspection do nothing of the kind. They weave a web from superficially puzzling but deeply inconclusive experiments and ‘plausibility arguments’ that dissolve the moment you start to think about them, before concluding with the humble suggestion that of course all this doesn’t provide definitive evidence but proves there is something worth further study.

Louis Rey hat in Österreich Freunde gefunden. Ilse Muchitsch, Gründerin des Interdisziplinären Homöopathischen Arbeitskreises der Österreichischen Apothekerkammer und Michael Frass vom Institut für Homöopathieforschung hatten ihn bereits 2003 zu einem Festvortrag geladen, wo er von seinen Thermolumineszenz Experimenten berichtete. Später führte er seine Forschungen sogar gemeinsam mit Frau Muchitsch weiter – die Ergebnisse sind angeblich vielversprechend, aber leider unveröffentlicht. Und nun, über vier Jahre später, ist Rey also wieder in Wien zu Gast, um im Rahmen des Water-Information-Meeting-Vienna über seine Thermolumineszenz Experimente vorzutragen. Eingeladen wurde er wie beim letzten Mal von Muchitsch und Frass. Eingemietet hat man sich übrigens am Pharmaziezentrum der Uni Wien, vermutlich weil das den Eindruck erweckt, die Homöopathie hätte etwas mit den pharmazeutischen Wissenschaften zu tun. Beim anschließenden Workshop darf auch Roeland van Wijk nicht fehlen. Wer auf eine unabhängige Replikation der Thermolumineszenz Experimente hofft, wird aber wohl auch diesmal enttäuscht werden.

Wenn Sie nicht dabei sein können: Möglicherweise gibt es einen Mitschnitt der Vorträge später auch auf DVD – oder in einer Flasche Hochquellwasser.